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Schreibaby? Ich könnte das nicht!

„Mein Baby hat gestern Abend auch geschrien, das war echt anstrengend. Also wenn das bei uns so gewesen wäre wie bei euch, über Monate? Ein Schreibaby? Das hätte das nicht gekonnt.“ Gespräche wie diese waren keine Seltenheit und wie oft ich sie mit Freundinnen oder Bekannten geführt habe, wie oft ich diese Worte gehört habe… Ich weiß es nicht mehr.

Baby schreien nun mal

Ein Text über das Aushalten für Eltern, Familien, Verwandte und Bekannte von Schreibabys | judetta.deAber meine Reaktion, die war meistens die selbe. Verständnis zeigen, nicken, erschöpft lächeln. Und Trost spenden. Denn ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass es für Eltern von „normal oft“ oder „normal laut“ schreienden Babys weniger schlimm oder weniger anstrengend ist, wenn das eigene Baby schreit. Das geht durch Mark und Bein, das geht mitten ins Herz, das geht ganz tief rein und das macht was mit uns. Je nach Tagesverfassung schwankt der Impuls zwischen alles versuchen, um das Kind zu beruhigen und ganz schnell ganz weit weg rennen, was man natürlich nicht sagt und erst recht nicht tut.

Aber die meisten hören auch wieder auf

Den Unterschied machen möglicherweise die Lautstärke des Kindes, vor allem aber die Dauer und Langatmigkeit des Schreiens. Und das Schreien hielt an. In seinen Hochzeiten gab es nur zwei mögliche Zustände: Schlafen, das kam leider nicht so oft vor, und Schreien. Er schrie, wenn er aufwachte, wenn er munter war, wenn er müde war und schlafen sollte und in der Nacht. Er schrie auf dem Arm, im Wagen, im Tuch, in der Trage. Er schrie auf der Decke, in der Federwiege und ganz besonders schlimm schrie er in der Babyschale im Auto.

Aber was ist „normal oft“ und „normal laut“?

Sucht man nach Schreibaby, findet man häufig folgende Definition: „Schreibabies werden die Kinder genannt, die über einen Zeitraum von drei Wochen an drei Tagen die Woche über den Tag verteilt mindestens drei Stunden schreien.“ Sagen wir es mal so: Es gab Zeiten, da gab es am Tag keine drei Stunden, in denen das Baby nicht schrie. Über Wochen. Und Monate. Zum einen schrie unser Baby viel, zum anderen schrie es laut. Manchmal in so extremer Lautstärke, dass man es nicht auf der Schulter neben dem Ohr tragen konnte, wenn man keine Lust auf ein anhaltendes Klingeln hatte. Es gab Momente, da verursachte mir sein grelles und wirklich hohes, lautes Schreien richtige Schmerzen und ein Schütteln, das mir durch den ganzen Körper fuhr.

Wann hören Schreibabys zu schreien auf?

Ein Text über das Aushalten für Eltern, Familien, Verwandte und Bekannte von Schreibabys | judetta.deEs gab Phasen, da war das Baby zumindest einigermaßen versöhnt, solange ich in großen, wippenden Schritten durch die Wohnung hopswackelte. Und es gab Phasen, wenn es unserem Arzt gelungen war, eine Blockkade zu lösen, in denen es auch ein wenig ruhiger zuging. Das war dann wie eine Verschnaufpause und ein Durchatmen, bevor es wieder von vorn losging. Die Ruhe vor dem wiederholten Sturm. Jeder Zahn, jeder Wachstumschub trat ein erneutes Dilemma los und bis er ein Jahr alt war, tat sich fast nichts. Der erste Geburtstag brachte uns das Laufen und damit entspannte sich die Situation zum ersten Mal ein bisschen. Nach 18 Monaten wurde es nochmals um einiges besser und als der zweite Geburtstag dann das Sprechen brachte, atmeten wir richtig auf.

Schreibaby, Schreikind?

Tatsächlich ist es so, dass es auch immer noch Phasen gibt, die zehrender und anstrengender sind als andere. Entwicklungsschübe, ganz gleich ob körperlichen oder mentalen Urspungs, werfen uns um einiges zurück und sorgen dafür, dass der inzwischen fast Dreijährige wieder viel getragen werden möchte und noch mehr weint. Dabei ist „Weinen“ beinah eine Untertreibung, denn  dieses kleine und relativ zarte Wesen legt ein Stimmvolumen an den Tag, über das sich manch Sängerin sicherlich freuen würde. Gerade ist wieder so eine Phase, denn es geht auf den dritten Geburtstag zu. Ich bin gespannt, wann sie vorüber ist und was uns sein Geburtstag diesmal für ein Geschenk macht.

Ich könnte das nicht.

Oh doch, du könntest. Und du würdest. Denn wenn du da stündest, wo ich stehe, hast dich dafür entschieden, für dein Baby da zu sein. Ganz egal, wie anhänglich oder nicht, wie laut oder leise, wie groß oder klein. Wir hatten keinen Einfluss auf die Umstände und dennoch ist das jetzt unser Weg. Schwerer, als wir es uns gewünscht hatten, zehrender, als wir es uns vorstellen konnten. Und trotzdem wollen wir ihn gehen. Denn ich bin sicher: Auch, wenn es manchmal anders aussieht, Liebe schafft das. Denn mal ganz abgesehen davon, dass dieses kleine Wesen ja zu uns gehört, lieben wir es glücklicherweise sehr. Und deswegen werden wir das auch aushalten können. Wie lange es auch dauert. Stunde um Tag um Woche um Monat.

Wenn ihr Fragen dazu habt, nicht mehr wollt oder nicht mehr könnt, meldet euch gern. Zusammen sind wir weniger allein. Schreibt mir einfach in die Kommentare oder eine Mail an icke[@]judetta.de

ACHTUNG:
Ihr könnt nicht mehr, wisst nicht mehr weiter und habt vielleicht sogar manchmal schon Gewaltphantasien? Sucht euch dringend schnelle und professionelle Hilfe. Die findet ihr beispielsweise auf der Seite der Schreiambulanz.

Liebst,

 

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