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Mein Berlin ist anders.
Knallenge Röhrenjeans und verwaschene T-Shirts mit V-Ausschnitt, weiße Feinripphemden und Hornbrillen vom Flohmarkt, verranzte Jutebeutel und bloß keine Chucks mehr. Untergrundige Partys in stillgelegten U-Bahnschächten, Tatort-Events auf Dachterrassen, Zuhause unzähliger Schwaben und Eifeler. Rast- und ruhelose Dauerbaustelle, unbedingtes Sehen und Gesehen werden, Schnauz- oder Dreitagebärte an Jungs, die viel zu jung für Schnauz- oder Dreitagebärte sind, Wodka Mate und Aperol Spritz. Brakeless Fixies oder klapprige Diamant-Räder. Einheitliche Individualität oder individuelle Einheitlichkeit. Minztee trinkende Mütter mit Ray Ban Sonnenbrillen und Hesba Kinderwagen. Fashionblogs und Nachwuchslabels. Pepe oder American Spirit Tabak, Helvetica statt Arial, Apfel statt Fenster, Sternburg statt Becks. Mauerpark Karaoke, Diana F und (original) Polaroid. Orte und Attribute, die mit Berlin verwachsen sind. Die mit dem heutigen Berlin verwachsen sind. Die Berlin inzwischen prägen wie der Stempel die Münze.

Mein Berlin ist anders.

Mein Berlin ist Aufwachsen unter dem Fernsehturm, das rote Blinken der Flugwarnleuchten abends vorm Einschlafen aus dem Bett zu sehen. Ronja Räubertochter und Endes Unendliche Geschichte im Kino Babylon. Den Traumzauberbaum und die Regentrude auf Schallplatte und der Wohnzimmercouch. Mit nackten Füßen durch’s Planschi rennen und mir die Knie aufschürfen bei ersten Rollschuhversuchen auf dem Asphalt zwischen den Plattenbauten. Floß fahren und Kosmonauten-Training im Pionierpark Wuhlheide. Tischtennis spielen im Jugendklub International und Sandra-Platten hören in der Bertolt-Brecht-Bibliothek. Ferienlager in Lychen am See und Rodeln auf der Knochenbahn im Volkspark Friedrichshain. Und sonntägliche Ausflüge ins Naturkundemuseum oder zum Indianderspielplatz in den Thälmann-Park. 

Mett-Sporthalle, und Chorunterricht in der dritten Etage des Weinmeisterhauses. Die Querflötengruppe in der Schulaula und Jazz Dance-Versuche zu NKOTB und Michael Jackson. Keyboardunterricht neben der Zoohandlung Torstraße und der Badmintonkurs im Friedrichshain.

Mein Berlin sind unzählige Spaziergänge durch die Linienstraße zum Koppenplatz, vorbei am Haus der ersten großen Liebe. Der fast tägliche Döner im Imbiss International oder ’ne Junior Tüte bei Mc Donalds in der Markthalle am Alex. Sommernächtens über Zäune klettern ins Freibad im Monbijou Park und die ersten Partys im Pfefferwerk oder Milchhof. In der Walpurgisnacht heimlich ums Feuer tanzen auf’m Kolle und lauschige Grillabende mit Herzmenschen auf’m Teute. Endlose Vorglühabende im Späti Choriner und die ersten Abstürze von zuviel Schnaps und Joints.

Mein Berlin ist Kino für 2 Mark in der Wabe oder im Sojus, 80er-Feten im Knaack, zu denen ich mit 16 ohne weiteres reingelassen wurde, mit 19 aber meinen Ausweis zeigen musste, Knutschen auf Treppen oder in Hauseingängen. Silvesternächte auf Plätzen im Kiez, an denen gute Vorsätze mit bunten Raketen in die Luft geschossen wurden und im Nachthimmel schillernd zerbarsten. Aber kurz darauf kalten Fußes und voller Hoffnung neu geboren wurden. Gebrochene Knochen und Wirbel, das darauf folgende Bangen und Hoffen und die Freude über endlich eintretende Heilung. Donnerstagnächte im Matrix oder Gate. Samstage im BKA Zelt, durchtanzte Stunden in Clärchens Ballhaus, Heiligabend im Frannz und irgendwann geliebtes Kintango im Geburtstagsklub.

Mein Berlin ist Keibel- und Mollstraße, Scheunenviertel und Französisch Buchholz, Spandauer und Leipziger Straße, Schönhauser Allee. Mein Berlin ist die schwere Entscheidung, mein Berlin zu verlassen und nur noch, wenn das Heimweh unaushaltbar wird, zu Gast zu sein. Mein Berlin ist Familie. Und immer einen Koffer in Berlin zu haben.

Mein Berlin ist Heimat und Fremde. Freund und Feind, Herzklopfen und gebrochenes Herz.

Mein Berlin ist anders.

Liebst,

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Oh hi, Depression – eine Diagnose kommt selten allein

Oh hi, Depression – eine Diagnose kommt selten allein

Da steht sie plötzlich, schwarz und fett auf einem blassrosa Papier, die Tinte ein bisschen verschwommen. Eine Abkürzung, die mir die Tränen in die Augen schießen lässt – genau jetzt und unzählige Male in der letzten Zeit, immer wieder, ungebremst rückwärts bergab und keine Chance, die Bremse zu ziehen.

F32.2 steht da nun, der ICD-10 Code für „schwere depressive Episode“. Schwarz. Und fett. Auf blassrosa Papier. Die Tinte ein bisschen verschwommen. Wie das, was F32.2 mit mir macht. Der Grund dafür, dass ich mich in den letzten Wochen so elend fühlte. Und gleichermaßen die Erklärung, warum ich zu kraft- und machtlos war, auch nur ansatzweise etwas dagegen zu tun. „Die schlechte Laune“ in den Griff zu bekommen, mich mal „n bisschen zusammenzureißen“. Hab an mir gezweifelt, bin an mir verzweifelt und hab einfach immer noch ein bisschen mehr gegeben. Hab mich infrage gestellt, mir mein Empfinden verboten und mich selbst verloren zwischen „Lächel doch mal, ist doch halb so wild“!, „Läuft doch bei dir, du hast, was du brauchst!“ und „Glaub ich nicht, du bist doch fröhlich und stark“.

Ich hab’s ja nicht mal gemerkt. Hab’s nicht gesehen, nicht hingeschaut. War zwar hart gestresst und irre erschöpft, aber zugeben? Niemals. Ich doch nicht, ich muss funktionieren. Ist doch halb so wild, ich hab doch, was ich brauche. Vielleicht fiel mir das Aufstehen schwer, noch ein kleines bisschen schwerer als sonst. Und das Anfangen, das Dranbleiben. Das Aufhören? Erst recht. Und das Gefühl? War zu gewohnt, ein alter Bekannter, schon oft zu Besuch. Also Tunnelblick-Modus, mit Scheuklappen auf. Weil, mit Augen zu, ist das Monster doch weg?

Nun, ist es nicht, ob ich will oder nicht, sitzt groß und schwer auf meiner Brust. Lässt mich nicht atmen, lähmt mich, erdrückt mich förmlich mit seiner Last. 

Doch ich hab’s jetzt entdeckt, sein Versteck ist bekannt. Ich hab’s ausgehoben, das Biest erkennbar gemacht. Ich kenne seinen Namen, seine Gestalt, seinen Plan. Und den werde ich durchkreuzen, irgendwann. Nicht heute und nicht morgen, aber dass, das ist klar. Und irgendwann bin ich dann wieder da. Und was mich trägt, ist die Hoffnung darauf. Ich bin zwar gefallen, doch ich steh wieder auf.

Liebst,

It's okay to be not okay. Ok. I am not.

It's okay to be not okay. Ok. I am not.

It’s okay to be not okay.
Ok. I am not.

Das Meer ist ganz ruhig, ganz glitzernd und spiegelt, es schwimmt sich ganz easy, routiniert geht’s voran.

Von Strömungen, die sich da langsam aufbauen und heimlich ganz stark werden, merkt man vorerst nichts. Nur vielleicht, dass man plötzlich ein bisschen mehr Kraft braucht, um das Tempo zu halten, das man sonst von sich kennt.

Man kommt weiter gut vorwärts, glaubt: Man, ach, das geht schon! Denn irgendwie geht es ja weiter voran. „Ich stell mich nur an grad, ich bin einfach müde, dann geht es heute eben bisschen früher ins Bett.“

Dass die Strömungen inzwischen Strudel wurden, die alles gierig und stark alles in den Abgrund ziehen, die reißen und tosen, die wüten und rauschen, das bleibt verborgen, das sieht man schlicht nicht.

Man schwimmt einfach weiter, mehr Kraft noch, das geht schon, das Meer scheint doch ruhig und der Himmel noch blau. Doch der Strudel, der wildert beharrlich nach unten, mehr Kraft noch, mehr Sog folgt, dann zu viel und zu laut.

Bis man – viel zu spät dann – endlich realisiert, dass gar nichts mehr rund läuft und man nicht mehr kann.

Blöd nur, dass die Kraft da schon lang nicht mehr ausreicht, um zurück zu kommen und nicht unterzugehen.


Warum ich das schreibe, das öffentlich mache? 
Weil ich nicht okay bin.
Und das ist okay.

Und weil’s mir so schwerfällt, darüber zu sprechen, weil ich das schlichtweg einfach (noch) nicht so gut kann. Doch es musste mal raus jetzt und es scheint so viel leichter, die Worte zu schreiben, die ich nicht aussprechen kann. Sie mir einzugestehen und sie mir zu erlauben, das ist ein Anfang. Der Weg ist lang, doch das Ziel ist das Ziel. Und wenn ich da ankommen, dann will ich wieder ich sein. Und wieder ich werden? Da arbeite ich jetzt dran.

Liebst,

Auch das noch: Ich hab AD(H)S als Erwachsene

Auch das noch: Ich hab AD(H)S als Erwachsene

Keine Ahnung, ob du es vielleicht schon bei Instagram verfolgt hattest oder ob das hier jetzt komplett neu ist: Ich habe AD(H)S, das erst kürzlich bei mir diagnostiziert wurde.. Ein bisschen was habe ich schon dazu erzählt und geschrieben, aber irgendwie ist das nicht nur ein Thema für Instagram, sondern auch für hier  und ich glaube, deswegen werde ich jetzt nach und nach auch auf meinem Blog darüber schreiben. 

Pünktlich zum Mental Health Day am 10. Oktober war es jedenfalls so weit: Wochenlang hatte ich überlegt, ob ich in der Öffentlichkeit überhaupt darüber sprechen möchte, und plötzlich war es ganz klar: Die Zeit des Versteckens muss vorbei sein, wir müssen über Dinge sprechen, wenn wir sie ändern, wenn wir sie enttabuisieren wollen. 

Seit immer schon versuche ich, meine „Schwächen“ zu verstecken, meine „Makel“ und Eigenschaften, die ich mir immer weggewünscht habe und ständig versucht, zu maskieren. Ich hab weder über den Burnout gesprochen, der mich vor etwa 10 Jahren in die Knie zwang, noch über die Therapien, die ich gemacht habe, geschweige denn von all den anderen Dämonen, mit denen ich hin und wieder kämpfe.

Und auch meine neuste „Errungenschaft“, AD(H)S – spätdiagnostiziert im Erwachsenenalter – wollte ich erst weder wahrhaben noch darüber reden. Ich weiß seit einer kleinen Weile, dass ich ADHS habe. Irrsinnig viel erklärt sich dadurch, und dennoch ist es noch schwer zu fassen. Ich stehe am Anfang, aber ich bin auf dem Weg. Und ich werde drüber sprechen. Weil endlich Schluss sein muss mit dem Maskieren – und zwar in jegliche Richtung.

Und jetzt entschuldige mich, mein Mutausbruch macht mir Angst, ich muss mir mal kurz die Decke über den Kopf ziehen. 🙈

Falls du jetzt aber Lust  bekommen hast, mehr darüber zu hören, dann here some good news. Wir haben für den Mamsterrad-Podcast mit den AD(H)S-Expertinnen Dr. Ismene Ditrich, Fachärztin für Psychologie und Psychiatrie, und Dr. Christa Koentges, Psychologin und Psychotherapeutin, über AD(H)S im Erwachsenenalter und insbesondere bei Frauen gesprochen. Die ganze Podcastfolge gibt es hier:

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Weitere Informationen

Wenn dich das Thema „AD(H)S im Erwachsenenalter“ interessiert, habe ich hier noch ein paar wirklich tolle Buchtitpps für dich:

„Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S“

Frauen und Mädchen mit AD(H)S erhalten viel seltener eine Diagnose als Männer und Jungen, denn ihre Symptome fallen weniger stark auf: Betroffene Frauen und Mädchen sind weniger hyperaktiv, dafür verträumt, unaufmerksam und vergesslich. Die zu späte oder fehlende Diagnose kann weitreichende Folgen haben: Der Leidensdruck bleibt meist über Jahrzehnte bestehen, schadet ihrem Selbstwertgefühl und zieht Folgeerkrankungen nach sich.

Die vier Expertinnen der Freiburger Arbeitsgruppe AD(H)S leisten in diesem Buch wichtige Aufklärungsarbeit für Frauen mit AD(H)S sowie für Eltern betroffener Mädchen. Mit vielen Einblicken aus der Forschung, Fallgeschichten, Reflexionen und Übungen zur Selbsthilfe zeigen sie konkrete Wege auf, wie Betroffene mit ihrer Besonderheit Frieden schließen, ihre vielen Stärken entdecken und gut mit AD(H)S leben können.

BUCH BESTELLEN*

„Hirngespinste: Mein Leben mit ADHS“

Sätze wie „Ein bisschen ADHS hat doch jeder.“, „ADHS gibt es doch gar nicht.“ oder „ADHS haben doch nur kleine Jungs.“ gehören für Lisa Vogel zum Alltag. Wie es ist, als erwachsene Frau mit ADHS zu leben, welchen Vorurteilen man ausgesetzt ist und was im Alltag hilft, davon handelt dieses Buch.

Lisa räumt mit Mythen rund um die Stoffwechselstörung im Gehirn auf. Denn nicht jede/r mit ADHS ist ein zappeliges Kind, schlecht in der Schule oder auffällig im Erwachsenenalter. Mit ihrer späten Diagnose begann ihre Reise zu sich selbst, aus der ihr Wunsch erwuchs, andere auf dieser Reise zu begleiten, ihnen Verständnis zu schenken und sie vor Selbstzweifeln zu schützen.

Aktuelle Erkenntnisse und Studien zum Thema ADHS bei Erwachsenen runden das Buch ab.

BUCH…

19 Kommentare

  1. Liest sich wie eine der vielen Berliner Jugendgeschichten, die genauso individuell einheitlich anders sind wie diese hier. Und so, wie sich zur Zeit jeder aus dieser Stadt an sich selbst und ihr abarbeitet, dürfte sie auch jedem Heimat und Fremde, Freund und Feind, Herzklopfen und gebrochenes Herz sein. Da seid ihr euch alle gleich.

  2. Ich habe aber nie in der Linienstraße gewohnt. Sind Sie sicher, dass das wirklich mein Haus war?

  3. Schön geschrieben 🙂 berührt mein Herz!

  4. @Angelo Danke schön!

    @Anonym Das mag wohl sein, und diese Geschichte hätte vermutlich genau so auch in jeder beliebigen Stadt passiert sein können. Aber es ist meine Geschichte, ja, eine Berliner Jugendgeschichte, und sie schildert meine Sicht der Dinge.

    @JUF Das erklärt einiges.

    @Juniwelt Danke!

  5. So wahr… So schön geschrieben.
    Ich bin in den Sommerferien zwischen dritter und vierter Klasse nach Berlin gekommen. Mitten in die Platte rein! Erst Schock und dann immer mehr Liebe für diese alte, große,laute Drecksschleuder Berlin.

  6. Mir ist warm ums Herz. Bin wohl auf der anderen Seite der Stadt aufgewachsen, aber wohl zur selben Zeit. Musste sehr schmunzeln, weil es mir so bekannt vorkam, als ich es las..

  7. Hach! Ich will auch mal so schöne Texte über Österdeichstrich schreiben können!

    :*

  8. toll!!!

    mein berlin ist tischtennis in charlottenburg, elternkrach in der goebelstraße, fassbrause vom bolle oder mayer.

  9. Richtig Richtig schön! 🙂

  10. schön war's…unser Berlin!

    ein Herzmensch!

  11. thumbs up.
    Gut geschrieben

  12. genial- meen kleenet schwestaschreibgenie. und du fehlst berlin und mir.<3

  13. Sowas kannst du doch nicht bringen. Da bekommt man ja gleich wieder Heimweh.

  14. Ich weiß nicht warum, aber das ist das schönste, was ich seit Tagen gelesen habe. Ich musste weinen.

  15. Der erste Absatz fasst so dermaßen meinen Brast auf das Hipstergelumpe, dass mir der Glücksschweiß im Nacken steht. (Ich weiß – seltsame Metapher. Aber Tränen vergoss bereits mein Vorkommentator.)

    Passt übrigens auch hervorragend auf Düsseldorf. Aber da ich auch nur ein zugezogenes Landei bin, muss ich mir meinen eigenen "Mein Düsseldorf"-Aufsatz verkneifen.

  16. Hallo Judetta,
    Sie haben das "andere" Berlin sehr anschaulich beschrieben. Es hat mich an die Zeit anfang der 90er erinnert, als ich als Neuzuzögling die beiden noch sehr unterschiedlichen Berlinhälften in mich hineingesogen habe, wie ein trockener Schwamm.
    Mit freundlichem Gruß,
    A. Breitenbach

  17. Das klingt dämlich, aber: voll gut. Ich kann's richtig riechen.


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