Mein Berlin ist anders.
Mein Berlin ist Aufwachsen unter dem Fernsehturm, das rote Blinken der Flugwarnleuchten abends vorm Einschlafen aus dem Bett zu sehen. Ronja Räubertochter und Endes Unendliche Geschichte im Kino Babylon. Den Traumzauberbaum und die Regentrude auf Schallplatte und der Wohnzimmercouch. Mit nackten Füßen durch’s Planschi rennen und mir die Knie aufschürfen bei ersten Rollschuhversuchen auf dem Asphalt zwischen den Plattenbauten. Floß fahren und Kosmonauten-Training im Pionierpark Wuhlheide. Tischtennis spielen im Jugendklub International und Sandra-Platten hören in der Bertolt-Brecht-Bibliothek. Ferienlager in Lychen am See und Rodeln auf der Knochenbahn im Volkspark Friedrichshain. Und sonntägliche Ausflüge ins Naturkundemuseum oder zum Indianderspielplatz in den Thälmann-Park.

Mett-Sporthalle, und Chorunterricht in der dritten Etage des Weinmeisterhauses. Die Querflötengruppe in der Schulaula und Jazz Dance-Versuche zu NKOTB und Michael Jackson. Keyboardunterricht neben der Zoohandlung Torstraße und der Badmintonkurs im Friedrichshain.
Mein Berlin sind unzählige Spaziergänge durch die Linienstraße zum Koppenplatz, vorbei am Haus der ersten großen Liebe. Der fast tägliche Döner im Imbiss International oder ’ne Junior Tüte bei Mc Donalds in der Markthalle am Alex. Sommernächtens über Zäune klettern ins Freibad im Monbijou Park und die ersten Partys im Pfefferwerk oder Milchhof. In der Walpurgisnacht heimlich ums Feuer tanzen auf’m Kolle und lauschige Grillabende mit Herzmenschen auf’m Teute. Endlose Vorglühabende im Späti Choriner und die ersten Abstürze von zuviel Schnaps und Joints.

Mein Berlin ist Kino für 2 Mark in der Wabe oder im Sojus, 80er-Feten im Knaack, zu denen ich mit 16 ohne weiteres reingelassen wurde, mit 19 aber meinen Ausweis zeigen musste, Knutschen auf Treppen oder in Hauseingängen. Silvesternächte auf Plätzen im Kiez, an denen gute Vorsätze mit bunten Raketen in die Luft geschossen wurden und im Nachthimmel schillernd zerbarsten. Aber kurz darauf kalten Fußes und voller Hoffnung neu geboren wurden. Gebrochene Knochen und Wirbel, das darauf folgende Bangen und Hoffen und die Freude über endlich eintretende Heilung. Donnerstagnächte im Matrix oder Gate. Samstage im BKA Zelt, durchtanzte Stunden in Clärchens Ballhaus, Heiligabend im Frannz und irgendwann geliebtes Kintango im Geburtstagsklub.
Mein Berlin ist Keibel- und Mollstraße, Scheunenviertel und Französisch Buchholz, Spandauer und Leipziger Straße, Schönhauser Allee. Mein Berlin ist die schwere Entscheidung, mein Berlin zu verlassen und nur noch, wenn das Heimweh unaushaltbar wird, zu Gast zu sein. Mein Berlin ist Familie. Und immer einen Koffer in Berlin zu haben.
Mein Berlin ist Heimat und Fremde. Freund und Feind, Herzklopfen und gebrochenes Herz.
Mein Berlin ist anders.
Liebst,











5 Kommentare
Guter Beitrag zum Thema Stillen. Interessant, dass ihr 1000 Tage gestillt habt und die ersten 14 Tage du ununterbrochen an der Milchpumpe gehangen hast. Ich erwarte gerade auch mein erstes Kind, deshalb überlege ich, welche Milchpumpe ich mir zulegen soll.
Liebe Judith, wie schön du es geschrieben hast, du sprichst mir aus dem Herzen! Ich stille nun seit 19 Monaten, egal wo ich bin, Familie, Freunde oder Fremde, stets muss ich mich rechtfertigen. Mein kleiner Mann ist sehr sensibel und bekommt so seine Sicherheit. Bin gespannt, wie lange wir diese „Still-Reise „ noch machen und solange Genies Ich noch die gemeinsame Nähe. Danke für die schönen Zeilen ❤️
Und ich danke dir für diesen lieben Kommentar, ich freue mich wirklich sehr darüber! Alles Liebe für euch!
Liebe Judith, ich bin über deinen Abstillbericht gestolpert und wollte ein paar Worte hier lassen. Ich habe meine Jüngste, jetzt 4,5 Jahre alt, bis zum 4. Geburtstag gestillt. Und sie war echt noch süchtig. Sie ist ein picky eater und seitdem ernährt sie sich von 8-10 Lebensmitteln, zu denen nicht unbedingt Obst und Gemüse gehören. Das hat mich schon mehr gestresst als das Stillen. Und die unbeteiligten Beobachter hatten mir doch prophezeit, dass das Kind „nach dem Abstillen endlich essen wird“. Tut sie nicht. Und ich bedauere immer noch, gegen den Wunsch meiner Tochter abgestillt zu haben, sie ist seitdem viel häufiger und schwerer krank mit sehr hohem Fieber bei allen möglichen Keimen.
Jedenfalls, du siehst, ich hadere nach einem guten halben Jahr immer noch und wünsche mir, dass jede Frau selbst bestimmen darf, ob und wie lange sie stillt. Ohne ungewollte Kommentare von völlig Unbeteiligten. Die einzigen, die es – wie bei euch beiden – regeln müssen, sind Mutter und Kind. Ich hoffe, dein Beitrag macht Müttern Mut, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Liebe Grüße, Steffi
Liebe Steffi, tausend dank für deinen lieben Worte und das Teilen deiner Erfahrung. Hach, wenn es doch nur leichter wäre, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht von den Worten anderer beeinflussen zu lassen, oder? Niemand steckt in deinen Schuhen, deiner Lage, kennt deine Familie so gut wie du selbst. Daher hoffe ich mit dir, dass viele Mütter (und Eltern) da draußen es schaffen, ein bisschen mehr auf die eigene Stimme zu hören.
Alles Liebe für euch,
Judith