Irgendwann habe ich mal geschrieben, dass ich immer erst merke, dass wir mal wieder in einer „schlimmen Phase“ stecken, wenn wir bereits mitten drin sind und uns das Leben rauschend um die Ohren fliegt. Scheinbar habe ich damit was wirklich Schlaues gesagt, denn so ist es tatsächlich. Und gerade ist mir das mal wieder aufgefallen.
Alles fing damit an, dass mein gar nicht mehr so kleiner Kleiner ein paar Nächte in Folge zum Tag machte. Dass er nachts rüber kommt, bin ich gewohnt. Ich finde das schön und sehne mich richtig nach ihm, wenn er mal nicht kommt (was wirklich selten der Fall ist). Dass er sich aber schon kurz nach dem Einschlafen unruhig hin und her wälzt, im Schlaf wimmert und seufzt, ist ungewöhnlich. Auch, dass er nur ein, zwei Stunden schläft, bis er das erste Mal aus dem Zimmer getappst kommt. Nichts mit Entspannung (okay, oder Arbeit) am Abend, aber dann ist das wohl so, kann auch mal sein. Nur ist es damit nicht genug, es geht die ganze Nacht so weiter. Er wühlt und wälzt und wimmert und weint, manchmal wacht er dabei auf, manchmal nicht. Wird er wach, verlangt er, dass ich ihn halte, fest, mit beiden Armen umklammert. Erst dann findet er kurz Ruhe, bevor er sich nur ein paar Wimpernschläge später erneut um sich selbst dreht und wach wimmert. Anfangs schob ich es noch auf eine verstopfte Nase, eine kleine Erkältung, einen aufregenden Tag. Aber nachdem sechs, sieben Nächte hintereinander so abliefen, ich nachts keine Erholung fand und mich bleiern müde und zombie-esque durch den Tag schleppte, erkannte ich, dass wohl etwas anderes dahinter stecken muss. Viel los in seinem kleinen Leben gerade, der Wechsel aus der Krippe zu den Großen, er lernt täglich so viel und das nimmt ganz schön mit.
Mit aller Macht gegen die Machtlosigkeit

Zu den unruhigen Nächten gesellen sich dann die etwas verstörenden und teilweise minütlich schwankenden Läunchen tagsüber. Klar könnte man an dieser Stelle nochmal über die Geschichte mit dem Huhn und dem Ei nachdenken, aber außer ein bisschen Gedankenkarussell und – im Zweifel – Hunger brächte das nicht viel. Also Augen zu und durch, was anderes bleibt ja eh nicht übrig. Ich atme also viel dieser Tage, presse Mittelfinger und Daumen zusammen, atme bewusst, nämlich Gelassenheit ein und Ärger aus. Besinne mich darauf, dass es ihm in solchen Momenten noch schlechter geht als mir. Und halte auch viel dieser Tage. Ich halte ihn, wenn er weint und schreit, halte aus, und zwar ohrenbetäubendes Geschrei und das Geklingel im Kopf, was darauf folgt, halte die Füße still, die Stange hoch, die Ohren steif und mich im Zaum. Zumindest versuche ich das, nicht immer gelingt es mir.

Elefant für dich
Und ich trage auch viel. Keinen Schritt darf ich gehen ohne ihn, er lässt mich nicht aus den Augen, lässt keinen Meter zwischen uns und sein Thron ist mein Arm. Von dort regiert er, regiert mich, regiert uns und bestimmt unsere Tage. Nicht das, was passiert sondern wie es das tut – zur Zeit oft einhändig und mit verspanntem Rücken. Mein Herzschlag ist immer noch sein Lieblingsbeat.Und immer wieder diese kleinen Schritte
Aber ich habe viel gelernt inzwischen, es gelingt mir jetzt länger, bei mir und vor allem (relativ!) ruhig zu bleiben. Nicht immer und immer häufiger auch nicht, aber ich arbeite hart an mir und weiß, dass er mich in diesen Momenten mehr denn je braucht und sich auf mich verlassen können muss, wenn er sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hat und wieder einfangen kann. Ich leite und ich begleite ihn. Mit kleinen Schritten kommt man auch ans Ziel, etwas langsamer zwar, aber vielleicht mit weniger Stolpern.

Und diese Gefühle, sie überrollen ihn förmlich.
Manchmal ist der Auslöser noch nicht mal zu identifizieren, da knallt das Donnerwetter los und sein Sturm wütet so stark, dass er innerhalb von Sekunden von lauten Schluchzern geschüttelt am Boden liegt. Mit aller Kraft fange ich ihn dann auf, schütze ihn davor, sich selbst zu verletzen und mich davor, verletzt zu werden. Für uns beide ein Kraftakt, was bleibt ist Muskelkater in den Armen und manchmal auch ein bisschen auf der Seele. Und noch manchmaler ein blauer Fleck auf dem Herzen, klein, aber da.

Extrem in alle Richtungen
Normal gibt es bei ihm nicht, er ist extrem gut drauf oder extrem schlecht gelaunt, wacht extrem fröhlich auf oder schreit sich extrem laut wach, ist extrem euphorisch, wenn ihm etwas Neues gelingt und extrem wütend, wenn’s mal daneben geht.Willensstark und selbstbestimmt
Extrem – schön und anstrengend

So schön das Leben mit diesem kleinen Menschen ist, so sehr ich es liebe, ihm beim Aufwachsen zuzusehen, ihn zu erleben, so anstregend ist es auch. Manchmal fällt mir das so schwer, da bin ich müde und erschöpft und möchte mich auch einfach nur auf den Boden werfen und weinen, gehalten werden und getröstet. In sicheren Armen gewogen, übers Haar gestreichelt und mit Flüsterworten im Ohr, die mir versichern, dass alles ganz bald wieder gut werden wird. Und dann fall‘ ich so tief, weil die mir so mühsam eingeredete Normalität plötzlich wieder verschwindet wie Badewasser, dem man gerade noch dabei zusehen kann, wie es strudelnd in den Ausguss fließt. Alles schmerzt, sogar meine Liebe tut weh.
Noch 70 Tage bis zum dritten Geburtstag

Man könnte fast sagen, ich zähle die Stunden, denn bisher brachte jeder Geburtstag eine deutliche Verbesserung mit sich. Der erste brachte das Laufen, der zweite das Sprechen und der dritte? Ich bin gespannt und wage zu hoffen, dass es uns wieder ein Stückchen Erleichterung schafft.
icke
Mehr von mir dazu auf MUMMY MAG:
„Extremfühler“: Wenn das Schreibaby zum Kleinkind wird
——————————————————–
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen









5 Kommentare
Guter Beitrag zum Thema Stillen. Interessant, dass ihr 1000 Tage gestillt habt und die ersten 14 Tage du ununterbrochen an der Milchpumpe gehangen hast. Ich erwarte gerade auch mein erstes Kind, deshalb überlege ich, welche Milchpumpe ich mir zulegen soll.
Liebe Judith, wie schön du es geschrieben hast, du sprichst mir aus dem Herzen! Ich stille nun seit 19 Monaten, egal wo ich bin, Familie, Freunde oder Fremde, stets muss ich mich rechtfertigen. Mein kleiner Mann ist sehr sensibel und bekommt so seine Sicherheit. Bin gespannt, wie lange wir diese „Still-Reise „ noch machen und solange Genies Ich noch die gemeinsame Nähe. Danke für die schönen Zeilen ❤️
Und ich danke dir für diesen lieben Kommentar, ich freue mich wirklich sehr darüber! Alles Liebe für euch!
Liebe Judith, ich bin über deinen Abstillbericht gestolpert und wollte ein paar Worte hier lassen. Ich habe meine Jüngste, jetzt 4,5 Jahre alt, bis zum 4. Geburtstag gestillt. Und sie war echt noch süchtig. Sie ist ein picky eater und seitdem ernährt sie sich von 8-10 Lebensmitteln, zu denen nicht unbedingt Obst und Gemüse gehören. Das hat mich schon mehr gestresst als das Stillen. Und die unbeteiligten Beobachter hatten mir doch prophezeit, dass das Kind „nach dem Abstillen endlich essen wird“. Tut sie nicht. Und ich bedauere immer noch, gegen den Wunsch meiner Tochter abgestillt zu haben, sie ist seitdem viel häufiger und schwerer krank mit sehr hohem Fieber bei allen möglichen Keimen.
Jedenfalls, du siehst, ich hadere nach einem guten halben Jahr immer noch und wünsche mir, dass jede Frau selbst bestimmen darf, ob und wie lange sie stillt. Ohne ungewollte Kommentare von völlig Unbeteiligten. Die einzigen, die es – wie bei euch beiden – regeln müssen, sind Mutter und Kind. Ich hoffe, dein Beitrag macht Müttern Mut, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Liebe Grüße, Steffi
Liebe Steffi, tausend dank für deinen lieben Worte und das Teilen deiner Erfahrung. Hach, wenn es doch nur leichter wäre, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht von den Worten anderer beeinflussen zu lassen, oder? Niemand steckt in deinen Schuhen, deiner Lage, kennt deine Familie so gut wie du selbst. Daher hoffe ich mit dir, dass viele Mütter (und Eltern) da draußen es schaffen, ein bisschen mehr auf die eigene Stimme zu hören.
Alles Liebe für euch,
Judith