Kennt ihr diese Strohballen, die in alten Western immer so melancholisch durch die Hauptstraße einer vereinsamten Stadt rollen? Begleitet von einer Wolke aus Sand? Gut, hier ist es keine vereinsamte Straße oder Stadt und auch kein Strohballen, dafür aber unser Wohnzimmer und Wollmäuse, die hinsichtlich ihrer Größe mit diesen Tumbleweed-Dingern durchaus mithalten können.
Außerdem türmen sich sowohl unsere Schmutzwäsche als auch die zu legende bis unter die Decke, der Mann hat keine frischen Socken mehr und es ist ein Glück, dass die Kinder im Sommer eh am liebsten barfuß gehen. Die Küche sieht aus, als sei ein Komet eingeschlagen, der Garten wächst, nein wuchert uns über den Kopf und von Bügelwäsche, frisch bezogenen Betten und geputzten Badezimmern fange ich lieber gar nicht erst an. Hatten wir früher genügend Zeit, aber keine Lust zum Putzen, ist es inzwischen andersrum. Wir schaffen es hinten und vorne nicht und es fühlt sich schlichtweg nach Versagen an.
Die Luft ist raus
Das Gehen auf dem Zahnfleisch haben wir hier inzwischen perfektioniert. Wir taumeln und wanken, hangeln uns von Tag zu Tag in Richtung Wochenende. Immer müde, immer mit dem „wir müssen doch noch“-Knödel im Bauch, der wächst und wächst und immer in der Hoffnung, doch mal ein bisschen Erholung zu finden. Dann ist es da, das lang ersehnte Wochenende, aber statt wirklich mal zu verschnaufen, rasen wir von Termin zu Termin und versuchen all das, was in der Woche (ähm, wohl eher in den letzten Monaten) so liegen geblieben ist, aufzuholen. Das klappt natürlich nur so halb gut: Wir schaffen nicht mal ansatzweise die Hälfte von dem, was wir uns vorgenommen haben. Was dazu führt, dass wir nicht ausgeruht, sondern nur mit einem blöden Gefühl in die neue Woche starten. Das Gefühl, wieder versagt zu haben. Gescheitert sind an unseren eigenen Ansprüchen an uns selbst.
Pack die Badehose ein
Also haben wir uns selber eine Pause verordnet. Überlegt, was man braucht, nein, was wir brauchen, um einmal durchzuatmen und ein bisschen Ruhe zu finden. Schnell war klar: Wir müssen hier mal raus. Gar nicht weit weg, nur raus. Selbst, wenn es nur eine Nacht ist. Also haben wir ein bisschen gegooglet, kurzerhand einen Plan geschmiedet (ohne zuviel zu Planen), eine Checkliste geschrieben und angefangen, ein paar Sachen bzw. nur das Nötigste fürs Zelten zu packen:
- Wechselschlüppis für alle und Badesachen
- Zahnbürsten, Zahnpasta, Sonnencreme und Mückenzeug
- Klamottensets für die Jungs in lang und kurz, je in zweifacher Ausführung
- Je ein Set Wechselklamotten für uns
- Schlafsachen
- Ein paar Kissen, Decken, Schlafsäcke und das Lieblingskuscheltier
- Taschenlampen
- Einen Klappstuhl und eine Picknickdecke
- Unser altes Wurfzelt
- Den Bettaufbau für unseren Caddy
- Ein paar Snacks und Wasser
Da am Montag unsere Kita geschlossen war, ging es Sonntag nach dem (späten) Frühstück los und wir erreichten nach nur zehn Minuten Fahrt am späten Vormittag unser Ziel.
Einmal frische Luft, bitte: Das ElbeCamp
Gar nicht weit von uns, am Rissener Strand (aka Falkensteiner Ufer, Wittenbergen), liegt etwas versteckt am Waldrand und inmitten der Dünen der wohl schönste und idyllischste Campingplatz, den ich bis jetzt gesehen habe. Ein weitläufiges und naturbelassenen Gelände mit genügend schattigen Plätzen und direktem Zugang zum Strand. Die liebevoll gestaltete Anlage ist wirklich zauberhaft: Kleine Zelte kuscheln sich, versteckt hinter Büschen, in den warmen, weichen Sand. Die coolsten alten Wohnmobile stehen im Schatten alter Weiden, überall sind Hängematten aufgespannt. Zwischen Blätterrauschen, Schifftuten und Kinderlachen weht das Klappern von Geschirr vom Café Lüküs herüber, in dem man nicht nur frühstücken kann, sondern den ganzen Tag über mit kulinarischen Highlights (wir hatten die Pakistanischen Currylinsen) und leckeren Klassikern (Pommes/Curry war der Hit, aber es gibt auch vegetarische oder sogar vegane Speisen auf der Karte) oder Kaffee und Kuchen verwöhnt wird. Ein Knaller ist auch das selbstgemachte Smoothie-Eis am Stiel, was aber mit rund 3 Euro nicht unbedingt ein Schnäppchen ist.
Mitten auf dem Gelände ist ein riesiger Spielplatz mit Spielgeräten für Große und Kleine, Rutschen, Schaukeln, Hängematten und ein Piratenschiff aus Holz. Und genau da verbrachten wir unseren Tag: auf einer Picknickdecke neben der kleinen Rutsche, vor der Sonne geschützt im Schatten eines großen Gebüschs. Wir hatten das Glück, mit Freunden da zu sein, sie sich im Camp allerbest auskannten und die uns – um ehrlich zu sein – das Camp überhaupt erst auf den Schirm holten. (Danke dafür!!!)
Wir bekamen einen Platz zwischen den Wohnmobilen, denn, was wir nicht wussten, PKWs gelten als Wohnmobil, sobald man in ihnen übernachten kann – Stromanschluss hin oder her. Tatsächlich sorgte das kurz darauf dann zumindest bei einigen Team-Mitgliedern für Unruhe, denn neben unserem Wohnmobil, das eindeutig keins ist, aber definitiv als eins gilt, hatten wir ja auch noch ein Zelt, dass eigentlich doch dort gar nicht stehen dürfte. Dass wir trotz PKW und Zelt weniger Platz beanspruchten, als wir mit einem richtigen Wohnmobil hätten belegen dürfen, spielte dabei keine Rolle, denn ein Zelt ist nun mal ein Zelt, daran sei nichts zu rütteln. Wollten wir ja auch gar nicht, wir waren ja froh, dass es endlich stand. Also riefen wir ein bisschen was in den Wald hinein und weil wir scheinbar ganz gut gerufen hatten und die Leute im Camp doch schwer in Ordnung sind, kam dabei heraus, dass wir genau da bleiben durften, wo wir es uns schon gemütlich gemacht hatten. Puh, gerade nochmal Glück gehabt.
Ganz groß für die Kleinen: Das (nicht nur für) Kinder-Programm
Dann kam der Nachmittag und es wurde bunt: Während der Sommerferien gastiert der
Mitmachzirkus Abrax Kadabrax im Camp und öffnet sonntags sein rot-gelbes Zirkuszelt. Etwa drei Stunden darf (kostenlos) mitgemacht und ausprobiert werden, balanciert, jongliert und was sonst noch alles dazu gehört.
Der Zirkus ist Teil des Projekts „Zirkus macht stark„(bzw. „Kultur macht stark“) und bietet sogar fünftägige Feriencamps für Kinder an. Unterstützt wird die zirkuspädagogische Arbeit durch das Bundesamt für Bildung und Forschung.
Gegen 15h ertönte dann plötzlich zartes Glöckchen: die
Märchenfrau Gudrun ist (alle zwei Wochen am Sonntag) da. In mittelalterlicher Kluft dreht sie mit ihrer kleinen Glocke ihre Runden durchs Camp, um sich dann mit ihrem alten Leiterwagen an einem lauschigen Plätzchen niederzulassen und die Kinder mit ihren Erzählungen in eine phantasievolle Welt der Geschichten zu entführen. Gudrun hat auch einen eigenen Arche-Hof und meistens einen ihrer Schützlinge dabei: wir haben ihr chinesisches Hähnchen Seidenfein kennenlernen und sogar streicheln dürfen. Am Ende ihrer Märchenstunde eröffnet sie ihr Krämer(bauch)lädchen, in dem sie auf Spendenbasis kleine Schätze für Kinder (zum Beispiel Holzfiguren, Federn oder kleine Bücher), Eier von glücklichen Hühnern und frisches Brot anbietet. Die Erlöse kommen ihrem Arche-Hof zugute.
Die Märchenerzählerin Gudrun reist zu Festen, Märkten und anderen Events und kann auch für private Feiern gebucht werden.
Füße waschen, gute Nacht
So hingen wir den ganzen Tag neben dem Spielplatz rum, hängematteten, kletterten, rutschten und tobten. Wir schaukelten, bis unsere Füße fast den Himmel berührten und atmeten durch. Die Zeit blieb stehen und flog gleichzeitig an uns vorbei und schon knurrten unsere Mägen nach Abendbrot. Es gab Pommes für alle und eine (mitgebrachte) Banane zum Nachtisch, dann pilgerten wir zur (warmen) Außendusche, um uns Schlick vom Strand und den Spielplatzsand von den Füßen zu spülen. Schnell noch die Zähne geputzt und unsere Kinder fielen nur halb sauber, dafür aber vollends glücklich und erschöpft in ihre Kuschelnester. Das größere Kind mit dem Papa ins Zelt, nachdem die beiden noch rasch eine kleine, taschenbelampte Nachtwanderung durchs Fjäll (aka Falkenstein) unternommen hatten, Pettersson und Findus lassen grüßen. Das kleinere Kind kuschelte sich mit mir auf unseren Bettaufbau ins Auto. Beide Jungs schliefen so schnell ein, dass wir Eltern tatsächlich mal schafften, was uns im Alltag nicht oft gelingt: eine Weile einfach so dasitzen, reden und nichts mehr müssen. Wir saßen auf Klappstühlen neben Rhododendronbüschen und unterm Sternenhimmel, tranken Kola, aßen ein paar Chips und sprachen Sätze zu Ende, während um uns herum bei unseren Nachbarn viele kleine Lagerfeuer in
(gegen einen Pfand geliehenen) Feuerfässern brannten.
Guten Morgen, Sonnenschein
Der neue Tag brach an und wir schliefen fast aus: erst zehn nach acht schlug der Kleinste von uns als Letzter seine Augen auf, lachend. Sonnenstrahlen fraßen sich durch das Blätterdach, als wir unsere Schlafklamotten gegen Jogger tauschten und uns auf dem Weg zum Frühstück machten. Das kleine Buffet mit Brötchen, Wurst, Käse, Eiern und Süßkram war jetzt nicht unbedingt das, war man erstklassig nennt, aber ein Platz auf der Terrasse und frischer Kaffee – für mich sogar mit Sojamilch – machten einiges wieder wett.
Bis elf muss man seinen Zeitplatz geräumt haben, also packten wir nach dem Frühstück unsere Büdel und checkten aus. Wenn man dann (gegen Gebühr) auf dem Camp-eignen Parkplatz parkt, kann man auch wunderbar den zweiten Tag noch im Camp vertrödeln, am Strand die großen Kutter und Containerschiffe vorbeiziehen sehen, den Möwen lauschen, nichts tun außer auftanken und sich wirklich mal treiben und von der fast festival-ähnlichen Atmosphäre verzaubern lassen.
Wenn ihr euch das Camp ansehen und in diese wirklich wunderbare Atmosphäre mal reinschnuppern möchtet, dann macht das am besten am 11.8. ab 14h: da findet der ElbeCamp-Tag 2018 mit tollem Programm für Groß und Klein statt.Heute ist nicht alle Tage…
Die Stunden auf dem Platz vergingen wie im Flug und es tat so gut, trotz (oder gerade wegen) so vielen Punkten auf unserer ToDo-Liste einfach mal auszubrechen aus dem gewohnten Trott. Kein „Ich muss erst schnell“ und „Wir brauchen noch“, sondern abschalten, sich aufs Wesentliche besinnen und sich einmal einlassen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder: ganz viel Mama und Papa und gemeinsame Zeit, einfach nur machen, wonach einem der Sinn steht.
Wir Großen haben uns tagsüber tatsächlich nur selten gesehen, dafür aber den Kindern Exklusivzeit geschenkt. Wir haben uns abgewechselt und so bei beiden Jungs die Aufmerksamkeits-Tanks wieder ganz aufgefüllt, ein schönes Gefühl, sich mal bedingungslos und ausschließlich auf die Kinder zu konzentrieren.
Abschließend bleibt nur zu sagen, dass diese Auszeit ganz wundervoll war und wir sie sicher ganz bald wiederholen werden. Denn wie heißt es so schön: „Unser Alltag ist ihre Kindheit“. Unsere Kinder werden sich nicht daran erinnern (wollen), wie hübsch ordentlich und aufgeräumt immer alles war, sondern an die Abenteuer, die es gemeinsam mit uns zu bestehen galt – bestenfalls barfuß und schmutzig bis unter die Hutschnur.
Übrigens ist das ElbeCamp ein Projekt des Kinderschutz und Jugendwohlfahrt e.V. Hamburg. Alle Überschüsse des Camps werden dem Kinderschutz zugeführt. Unter diesem Aspekt ist es für uns dann auch ok, dass die Preise sowohl für die Übernachtung (rund 37 Euro für eine Nacht mit „Wohnmobil“, kleinem Zelt, zwei Erwachsenen und zwei Kindern) als auch die Speisen und Getränke teilweise ziemlich gepfeffert und nicht immer so ganz logisch erklärbar sind.
Also ihr Lieben, packt eure Sachen und probiert es mal aus. Vielleicht sehen wir uns dort ja auch mal? Oder habt ihr ein anderes Lieblingsplätzchen für solche Eskapaden? Dann schnell her damit, wir sind immer auf der Suche nach neuen Zielen.
2 Kommentare
Wundervoll erlebt und beschrieben!
Ich habe Euch beim Essen zugesehen und geschmunzelt. Die Spagettis kann man doch WIRKLICH am Einfachsten mit den Händen essen – wenn man noch so klein ist.
Euer "plietscher" Grosser fiel mir durch seine ausdrucksvolle Sprache auf. Na, kein Wunder, bei dieser Mutter!
Danke sehr für den schönen Artikel!
Liebe Gudrun, herzlichen Dank für deine lieben Worte, das freut mich wirklich sehr. Und ja, der Große ist echt eine Quasselstrippe…
Wir freuen uns jedenfalls jetzt schon auf deine Märchenstunden im nächsten Jahr.
Liebst, icke