Gestern, ja, gestern war wieder einer dieser Tage. Ich war so unendlich müde, zugegebenermaßen hatten wir echt schon bessere Nächte, und ich war nicht die einzige in unserer Familie. Schon als ich in die Kita kam, hast du wie ein Löwe gegähnt und dir die Augen gerieben. Nicht einmal laufradeln wolltest du.
Einen kleinen Snack und eine kurze Autofahrt später liefen wir im Nieselregen durch die Einkaufsstraße, deinen kleinen Bruder in der Trage, du an meiner Hand. Das erste Schuhgeschäft brachte nichts, also machten wir uns auf den Weg zum nächsten, etwa 500m entfernten Laden. Mein zwischenzeitlicher Versuch, auf dem Weg dorthin noch Unterwäsche und Socken zu kaufen, wurde direkt vereitelt. Du hattest schlichtweg keine Lust, denn die Aussicht auf das kleine Bällebad im Schuhgeschäft war irgendwie verlockender als neue Schlüppis. Wir kamen gut voran.
Endlich angekommen hast du dir unmittelbar die Jacke vom Körper gerissen, deine Schuhe in die nächste Ecke geschleudert und bist beidbeinig und ziemlich bestimmt ins Bällebad gesprungen. Ich setzte das Baby dazu und sah mich eine Weile um. Als ich ein paar Schuhe gefunden hatte, die mir gefielen, hast du dein Spiel sofort unterbrochen und ließt dir bereitwillig die Füße vermessen. Leider hatten wir wieder keinen Erfolg, alle Paare, die infrage kamen, gab es nicht in deiner Größe. Die Verkäuferin bot an, sie zu bestellen, ich willigte ein, prima, fertig, Rückzug.
Du spieltest schon wieder und warst noch nicht fertig. Ich setzte mich zu dir und ließ dir noch ein paar Minuten, wir hatten ja weiter nichts vor. Dann suchte ich deine Spielzeugautos, die du irgendwo im Laden und in den Bällen geparkt hatte, fischte das Baby aus den Kiste, zog mich an und forderte dich auf, es mir gleichzutun. Du lachtest mir breit ins Gesicht und sagtest laut „Nein, Mama.“ Was dann folgte, war ein Dialog, wie er im trotzköpfschen Buche steht:
„Doch komm, wir müssen los.“
„Ich will aber nicht.“
„Aber ich. Los, zieh deine Schuhe an. Oder soll ich dir dabei helfen?“
„Nein Mama, ich will nicht.“
„Los jetzt, wir müssen gehen.“
„Warum?“
„WEIL ICH ES SAGE!!!“
Was sollen denn die Leute denken?
Der hat sie aber ganz schön im Griff. Sie lässt sich ja schön auf der Nase rumtanzen. Der ist aber frech. Gehorcht der denn gar nicht? Ich war so wütend, mein Blut kochte. Und ich war ratlos. Wusste einfach nicht weiter. Meine Schultern wurden immer schwerer und ich wollte nur noch nach Hause. Ich zischte dir zu, dass du gefälligst mitzukommen hast, sonst würde ich jetzt alleine gehen. Nichts passierte. Also kommt es noch dämlicher. Als du dich nämlich nicht nur nicht rührtest, sondern direkt wieder tiefer in die Bälle tauchtest, band ich das Baby an mir fest und schlenderte langsam los. Natürlich nur hinters Schuhregal, das direkt neben dem Bällebad stand, aber das sahst du ja nicht.
Natürlich fingst du an zu weinen, als du mich nicht mehr sahst. Du riefst nach mir und ich rannte zurück. „Du sollst mich nicht alleine lassen, Mama!“ Sofort war alle Wut verpufft und ich fühlte mich miserabel. Verbockt, mal wieder, und zwar volle Kanne. Ich entschuldige mich bei dir und erklärte leise, dass es mir nicht so gut geht und ich irgendwie einen doofen Tag hab. Du schlangst deine Ärmchen um meinen Hals und neben einem „Ist doch nicht so schlimm, Mama:“ bekam ich einen feuchten Kinderkuss. Dann zogen wir zusammen deine Jacke und Schuhe an und gingen zurück zum Auto, deine Hand fest in meiner, du fröhlich plappernd, ich nachdenklich. Und unglaublich traurig.
Für dich war der Vorfall sofort vergessen, aber ich knabbere irgendwie immer noch dran. Mein Monster war zurück, diesmal nicht neben deinem Bett, sondern mitten im Leben. Es hat mich gepackt und nicht losgelassen, hat mich wütend gemacht und ungerecht. Hat mich förmlich um den Verstand gebracht.
Die Sache mit der Schlagfertigkeit wird sich wohl nie ändern. Die besten Sachen fallen einem immer erst ein, wenn der Moment vorbei ist. So hätte ich dich beispielsweise fragen können, was du gerade brauchst oder dringend noch fertig spielen möchtest, bevor wir gehen können. Hätte dich nach deinen Wünschen und Beweggründen fragen können, statt einfach zu bestimmen. Auf dich eingehen, statt dich zu übergehen. Was sind schon ein paar Minuten…
Aber am meisten ärgert es mich, dass ich dich nicht nur nicht nach deinen Gedanken fragte, sondern mir auch noch die von Wildfremden wichtiger waren. Dass ich gefallen wollte, den Eindruck erwecken, ich hätte alles im Griff. Aber ich lerne was daraus und Stück für Stück komm ich weiter. Kommen wir weiter. Wir schaffen das schon. Hab noch ein kleines bisschen Geduld.
Mein kleiner Wildfang, du bist toll, wie du bist. Bitte bleib genau so und verbieg dich nicht.
Ich liebe dich sehr,
deine Mama
2 Kommentare
Ach liebe Judith! Ich verstehe dich so und könnte soviel dazu schreiben – von solchen Situationen mit meiner Mittleren bereits am Morgen bis zur üblen Kraftlosigkeit – aber nur so viel: ich denke, du machst das toll und die Einsicht, dass solche Situationen Mist waren und der Versuch es beim nächsten Mal anders zu lösen sind schon viel Wert und für sich auch ein Fortschritt. ��
Ich liebe dich sehr und bin sehr stolz auf dich. Und weine gerade. ❤❤❤