Es ist kurz nach 20h, als ca. 3.517 Kiddies mit gestreiften Oberteilen und Strumpfhosen, schwarzen Haaren und vornehmlich gerade geschnittenen Ponys, also im Emily-the-Strange-Look, beginnen zu drängeln, als ob es kein Morgen (oder keinen Einlass für sie trotz ihrer heiß ersehnten, lange und hart ersparten Konzertkarte) gäbe. Ziemlich pünktlich, gegen 20:57h, sind erste Laute der Vorband „The Coral“ zu vernehmen. Die Bühne ist komplett zugestellt mit Musikgeräten und drei überdimensionalen Gitarrenverstärkern. Die sechs kranken Briten sind dazwischen kaum zu erkennen und veranstalten vermutlich genau deswegen die absurdesten Sachen mit ihren Instrumenten, spielen mit Geigenbögen auf E-Gitarren, stehen mit beiden Füßen auf merkwürdigen Tastendingern, die den Sound wild verzerren, und wechseln nach wirklich jedem Song die Gerätschaft. Das wundersame Spektakel dauert etwa eine Stunde, dann herrscht wieder Stille.
Es ist ungefähr 21:53h, als ca. zehn Leute die Bühne stürmen, um in Windeseile die Instrumentenmassen wegzuschleppen und noch einmal genau das gleiche Arsenal für die Arctic Monkeys aufzubauen. Ein einzelner kleiner Freak muss alle vorhandenen Gitarren alleine stimmen, verdrückt sich heimlich, als er damit fertig ist. Die Menge tobt bereits vor Vorfreude, die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Schon zu diesem Zeitpunkt ziehen stiernackige Sicherheitsmenschen zarte, schwarz geschminkte Persönchen in Ringelshirts aus den pogenden Massen und Judetta freut sich zum ersten Mal diebisch, einen vermeintlich sicheren, altersgerechten Platz auf dem oberen (und einzigen) Rang zu haben, von dem sie die Bühne entspannt im Blick hat.
Gegen 22:18h bauen sich zwei 2,30m große Jungs unmittelbar vor Judetta und ihre Freundin, die nun beide ein bisschen verdaddert dreinschauen, weil sie ja plötzlich nicht mehr so entspannt sehen können. Nach einer kurzen, überzeugenden Ansprache beweisen die Jungs jedoch Großmut und rücken ein Stückchen zur Seite, so dass die Bühne wieder erkennbar wird.
Schlag 22:24h betreten die Arctic Monkeys die Bühne und starten gleich richtig durch, es gibt eine reizende Lichtshow und einen hübsch angestrahlten Vorhang – Judetta gefällt das. Das Publikum tobt, schwitzt und bebt, schreit und wirft die Arme in die Luft. Das Podest auf dem Rang, auf dem Judetta steht und fröhlich mitwippt, vibriert. Dann, ca. 22:51h, ertönen die ersten Klänge von „I bed that you look good on the dancefloor“. Die Menschen sind nicht mehr zu bremsen, Schuhe fliegen auf die Bühne, Leute werden auf Händen an die Securities weitergereicht, von der Decke tropft Kondenswasser. Die Wände wackeln und das Podest, auf dem sich Judetta anfangs so sicher wähnte, wackelt und biegt sich unter der Meute hüpfender Körper. Beim Beobachten der umstehenden Menschen bekommt Judetta ein wenig Angst und befürchtet, das der Typ da vorne rechts, der immerzu über dem Rang-Geländer hängt, gleich abstürzt, was sie vermutlich mehr schockieren würde als ihn selbst.
Es ist 23:20h, als das letzte Lied angekündigt wird. Das Publikum schreit extatisch und brüllt die Texte mit. Ein einzig wankender, hüpfender Mob treibt in dem Kessel vor der Bühne hin und her, auf und ab, und wieder fliegen Becher, Menschen und einzelne Schuhe durch die flirrende Luft (an dieser Stelle fragt sich Judetta zum wiederholten Mal, ob die Leute den Wurfschuh wohl extra dabei hatten oder jetzt auf einem barfussen Fuß nach Hause laufen müssen). Plötzlich herrscht Stille in der Halle, dann setzen langsam Pfiffe und Rufe ein: Zu-ga-be… Judetta und ihre Freundin stehen mittlerweile kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch gepaart mit Tinitus und Platzangst, und schlagen sich an die Bar durch, um ihre Biertrinkgefäße, die sie als einzige in der Halle nicht gen Bühne warfen, wieder abzugeben, und bekommen aus Dankbarkeit des Barpersonals das doppelte Pfandgeld zurück. Sie schleichen sich kurz auf die Terasse, um ihre Lungen zur Abwechslung mit Frischluft zu füllen. Gemeinsam beschließen sie, sich die Zugabe unten, von einem sicheren Platz hinter der Technik, anzuschauen. Sie gehen zurück in die Halle, und ihnen schlagen Mief und unglaublicher Dampf, warme Nässe und irre Hitze entgegen. Sie bekommen nur noch sauerstoffarme, CO2-angereicherte Luft zu atmen und entscheiden, doch lieber die Flucht anzutreten. Sie schlängeln sich zum Ausgang und treten etwa 23:35h, noch während die Zugabe läuft, ins Freie, atmen tief durch und gehen glücklich und erschöpft zu ihren Fahrzeugen. Judetta hält kurz inne und überlegt, ob sie vielleicht doch langsam zu alt ist und vielleicht zukünfitg lieber ausschließlich zu ruhigeren oder Volksmusik-Konzerten geht.
Es ist 00:53h, als Judetta nach fast einstündiger Suche endlich einen Parkplatz gefunden hat, nach Hause wankt, duscht und gegen 01:17h völlig entkräftet, aber erstaunlicherweise unversehrt, dafür aber glücklich, einschläft.
Serviervorschlag: Arctic Monkeys – I bet you look good on the Dancefloor
Liebst,










5 Kommentare
Guter Beitrag zum Thema Stillen. Interessant, dass ihr 1000 Tage gestillt habt und die ersten 14 Tage du ununterbrochen an der Milchpumpe gehangen hast. Ich erwarte gerade auch mein erstes Kind, deshalb überlege ich, welche Milchpumpe ich mir zulegen soll.
Liebe Judith, wie schön du es geschrieben hast, du sprichst mir aus dem Herzen! Ich stille nun seit 19 Monaten, egal wo ich bin, Familie, Freunde oder Fremde, stets muss ich mich rechtfertigen. Mein kleiner Mann ist sehr sensibel und bekommt so seine Sicherheit. Bin gespannt, wie lange wir diese „Still-Reise „ noch machen und solange Genies Ich noch die gemeinsame Nähe. Danke für die schönen Zeilen ❤️
Und ich danke dir für diesen lieben Kommentar, ich freue mich wirklich sehr darüber! Alles Liebe für euch!
Liebe Judith, ich bin über deinen Abstillbericht gestolpert und wollte ein paar Worte hier lassen. Ich habe meine Jüngste, jetzt 4,5 Jahre alt, bis zum 4. Geburtstag gestillt. Und sie war echt noch süchtig. Sie ist ein picky eater und seitdem ernährt sie sich von 8-10 Lebensmitteln, zu denen nicht unbedingt Obst und Gemüse gehören. Das hat mich schon mehr gestresst als das Stillen. Und die unbeteiligten Beobachter hatten mir doch prophezeit, dass das Kind „nach dem Abstillen endlich essen wird“. Tut sie nicht. Und ich bedauere immer noch, gegen den Wunsch meiner Tochter abgestillt zu haben, sie ist seitdem viel häufiger und schwerer krank mit sehr hohem Fieber bei allen möglichen Keimen.
Jedenfalls, du siehst, ich hadere nach einem guten halben Jahr immer noch und wünsche mir, dass jede Frau selbst bestimmen darf, ob und wie lange sie stillt. Ohne ungewollte Kommentare von völlig Unbeteiligten. Die einzigen, die es – wie bei euch beiden – regeln müssen, sind Mutter und Kind. Ich hoffe, dein Beitrag macht Müttern Mut, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Liebe Grüße, Steffi
Liebe Steffi, tausend dank für deinen lieben Worte und das Teilen deiner Erfahrung. Hach, wenn es doch nur leichter wäre, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht von den Worten anderer beeinflussen zu lassen, oder? Niemand steckt in deinen Schuhen, deiner Lage, kennt deine Familie so gut wie du selbst. Daher hoffe ich mit dir, dass viele Mütter (und Eltern) da draußen es schaffen, ein bisschen mehr auf die eigene Stimme zu hören.
Alles Liebe für euch,
Judith