„Zwischen den Jahren“, eigentlich eher zwischen den Feiertagen, wenn die Zeit zu verschwimmen beginnt und man sich ein bisschen so fühlt, als wär man in einem Wattebausch gefangen, in einer Zwischenwelt. Manchmal kann man nicht einmal mehr genau sagen, welcher Wochentag ist, die Tage werden im Schlafanzug und auf der Couch verbracht und es ist fast doppelt so lange dunkel wie hell. In diesen Tagen, die dahin tropfen wie beim Fondue der Käse vom Brot, kommt man nicht umhin, das Jahr Revue passieren zu lassen und noch einmal die schönsten, verrücktesten, wildesten, traurigsten und emotionalsten Momente zu erinnern. Man denkt an alte und neue Freundschaften, gefundene und verlorene Menschen, Freud und Leid.

2017 war für mich in vielerlei Hinsicht das krasseste Jahr, das Jahr der Grenzen. Es begann kugelrund und mit Babyglück. Es war der 14. Januar, es schneite den ganzen Tag und ich wurde, nach einer nicht ganz unkomplizierten Schwangerschaft mit einer wunderbaren und problemlosen Geburt (klar, kein Spaziergang, aber hey, wer erwartet das schon?) und meinem zweiten Sohn belohnt. Die Welt war weiß und gedämpft und ich ganz berauscht und unendlich verknallt. Es folgten vier wunderbare Wattebauschwochen, mein Wochenbett. Ich habe so sehr geliebt, dass mein Herz an seine Grenzen kam und zu platzen drohte, war übermannt von soviel Glück und Gefühl.


Dann wurden die Tage unruhiger, lauter. Was piano begann, mündete in einem furiosen Crescendo. Wir schoben die Gedanken immer wieder zur Seite und wollten es nicht wahr haben, sowas passiert schließlich anderen, aber doch nicht uns. Irgendwann ließ es sich nicht mehr verleugnen und wir mussten hinnehmen, was wir um nichts in der Welt wahrhaben wollten: wir haben wirklich ein Schreibaby. (Ich hasse diesen Begriff von Tag zu Tag mehr, aber nun, er beschreibt die Gegebenheiten wohl ganz gut.)

Wir suchten und suchten, Gorillas im Nebel, rannten von einem Arzt zum nächsten und hörten neben unzähligen „Alles in Ordnung!“s noch etliche „Babys weinen nun mal.“s. Aber wir hatten Glück, denn nach hundert Versuchen landeten wir im Frühjahr bei einem – DEM – Spezialisten, der eine Blockade im Atlas-Gelenks des Babys (allgemein häufig als KiSS Syndrom bezeichnet) diagnostizierte und sie sogar auch lösen konnte. Unser Leben wurde von Tag zu Tag ruhiger und wir begannen, unsere Wunden zu lecken und uns neu zu sortieren.

Etwa zu der Zeit erreichte ich die nächste Grenze, eine, an der ich ziemlich lange rumdümpelte: meine körperliche. Ohne tatsächlich eine „richtige“ Krankheit zu haben war ich kaputt wie noch nie zuvor. Mein ganzes Ich, alles war wund und entzündet, jeder Muskel schmerzte, jeder Mückenstich glich einem Totalausfall. Ich konnte nicht mehr und wollte nicht mehr und und hatte jegliche Kraft verloren. Ich war blass und hungrig, aber irgendwann wurde aus „Kind, du musst doch was essen!“ ein „Hah, ich will jetzt was essen!“ und ich beschloss, etwas zu dafür zu tun. Meine #inunter20 Idee war geboren und mit dem vernünftig(er)en Essen ging es mir langsam wieder besser.

Dann kam der Sommer und ich glaube, er war gut. Dummerweise schwand neben meinem Immunsystem auch meine Erinnerung, so dass die meisten Tage verpixelt sind und die noch vorhandenen Erinnerungen alten, vergilbten Polaroids gleichen. Momentaufnahmen, auf denen vage zu erahnen ist, was geschehen sein könnte.

Die Wochen vergingen und endlich war es soweit, der zweite Part unserer gemeinsamen Elternzeit stand an und damit unsere Traumreise im Wohnmobil. Wir machten unsere Heimat unsicher und verbrachten beinah fünf Wochen auf 12 Quadratmetern. Eine schöne Zeit, schön und intensiv, doch sie endete jäh mit einer neuen Einsicht, die sich wieder nicht länger ignorieren ließ und uns erneut an die Grenzen brachte: Aus unserem Schreibaby war still und heimlich ein 24h-Baby geworden.



Aber wir haben nicht aufgegeben. Wir haben gegen Monster gekämpft und Schlachtpläne geschrieben. Die Tragödie wird zur Komödie und wir lernen ständig dazu. Lernen, schöne Tage zu genießen und vor allem, sie zu sehen, zu schätzen. Mit lauten und anstrengenden Tagen besser umzugehen, zu verstehen und uns besser zu verständigen. Uns selbst dabei nicht aus den Augen zu verlieren, achtsam zu sein und uns zu kümmern. Auch um uns selbst.

Und das ist mein Thema für’s kommende Jahr. Noch ein bisschen besser aufpassen, auf meine Jungs und auf mich. Ich will wieder mehr auf mein Bauchgefühl hören, will achtsam sein und genauer hinsehen. Will, dass wir gemeinsam weiter voran kommen, will wieder in ruhigere Bahnen zurück. Dass muss – und darf – nicht in großen Sprüngen passieren, mit kleinen Schritten kommt man auch ans Ziel. Ein bisschen später vielleicht, dafür aber weniger außer Puste. Das ist der Plan. Und so soll es sein.


Ach 2018, ich freu mich auf dich. Ich wär dann soweit, kannst kommen.

Liebst,










5 Kommentare
Guter Beitrag zum Thema Stillen. Interessant, dass ihr 1000 Tage gestillt habt und die ersten 14 Tage du ununterbrochen an der Milchpumpe gehangen hast. Ich erwarte gerade auch mein erstes Kind, deshalb überlege ich, welche Milchpumpe ich mir zulegen soll.
Liebe Judith, wie schön du es geschrieben hast, du sprichst mir aus dem Herzen! Ich stille nun seit 19 Monaten, egal wo ich bin, Familie, Freunde oder Fremde, stets muss ich mich rechtfertigen. Mein kleiner Mann ist sehr sensibel und bekommt so seine Sicherheit. Bin gespannt, wie lange wir diese „Still-Reise „ noch machen und solange Genies Ich noch die gemeinsame Nähe. Danke für die schönen Zeilen ❤️
Und ich danke dir für diesen lieben Kommentar, ich freue mich wirklich sehr darüber! Alles Liebe für euch!
Liebe Judith, ich bin über deinen Abstillbericht gestolpert und wollte ein paar Worte hier lassen. Ich habe meine Jüngste, jetzt 4,5 Jahre alt, bis zum 4. Geburtstag gestillt. Und sie war echt noch süchtig. Sie ist ein picky eater und seitdem ernährt sie sich von 8-10 Lebensmitteln, zu denen nicht unbedingt Obst und Gemüse gehören. Das hat mich schon mehr gestresst als das Stillen. Und die unbeteiligten Beobachter hatten mir doch prophezeit, dass das Kind „nach dem Abstillen endlich essen wird“. Tut sie nicht. Und ich bedauere immer noch, gegen den Wunsch meiner Tochter abgestillt zu haben, sie ist seitdem viel häufiger und schwerer krank mit sehr hohem Fieber bei allen möglichen Keimen.
Jedenfalls, du siehst, ich hadere nach einem guten halben Jahr immer noch und wünsche mir, dass jede Frau selbst bestimmen darf, ob und wie lange sie stillt. Ohne ungewollte Kommentare von völlig Unbeteiligten. Die einzigen, die es – wie bei euch beiden – regeln müssen, sind Mutter und Kind. Ich hoffe, dein Beitrag macht Müttern Mut, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
Liebe Grüße, Steffi
Liebe Steffi, tausend dank für deinen lieben Worte und das Teilen deiner Erfahrung. Hach, wenn es doch nur leichter wäre, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht von den Worten anderer beeinflussen zu lassen, oder? Niemand steckt in deinen Schuhen, deiner Lage, kennt deine Familie so gut wie du selbst. Daher hoffe ich mit dir, dass viele Mütter (und Eltern) da draußen es schaffen, ein bisschen mehr auf die eigene Stimme zu hören.
Alles Liebe für euch,
Judith